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Froh0

5. Rundbrief       Download PDF

Juli 2016

Ruhe und Intuition statt Hamsterrad

Oder: „Wer die Ruhe nicht in sich selber sucht,
          braucht sie nirgends woanders zu suchen.“

Froh0

„Ich habe viel davon gesprochen, dass wir unsere Mitte wiederfinden müssen, wieder erleben müssen, in uns selbst zu sein. Nur auf diese Weise kann es gelingen, das Hamsterrad zu verlassen und wieder ruhig und intuitiv zu handeln.“ (Michael Winterhoff, in: Lasst Kinder wieder Kinder sein, S. 191)
 

(nach einem Zeitungartikel)

Hamsterradmit1AnC

Gefangen im Hamsterrad – Unsere Psyche im Katastrophenmodus

 

Gedanken zu den Analysen, Thesen und Erfahrungen von
Dr. Michael Winterhoff (Kinder- und Jugendpsychiater in Bonn)

winterhoff

Kennen Sie das auch?: „Nur noch schnell das erledigen!“ „Was steht für heute auf dem Tagesplan?“ „Wo die Zeit nur wieder bleibt? Ich muss noch so viel schaffen!“ „Was wohl die … über mich denken?“ „Schon wieder ein Unfall, Unglück, Tote! Hoffentlich passiert uns so etwas nicht auch mal!“ „Immer das Telefon / Handy! – Immer erreichbar sein müssen!“ „Ruft denn heute gar keiner an? Keine E-Mails?! … Haben mich denn alle vergessen?!“ „Entscheiden Sie sich jetzt / schnell!“  „Schule! Erfolgsdruck, Machtkämpfe …“  „Multitasking“
Die Beispiele für Stress, Hektik, Druck in unserem Alltag sind wohl ins Endlose aufzählbar. Sie lösen in uns ‚Katastrophenreaktionen‘ aus. Das heißt: In uns werden alle lebenserhaltenden Prozesse und  Energien schlagartig auf Hochtouren geschaltet (vgl. „Lasst Kinder wieder Kinder sein“, S. 50 ff). Bei einer echten (Natur-)Katastrophe finden diese überhöhten Energien in der Bewältigung der Notlage ihren natürlichen Abbau und kehren anschließend auf ihr Normalniveau zurück. In unseren alltäglichen (Phantom-)Katastrophen entfällt diese letzte, wesentliche Phase. Dadurch stauen sich in uns immer mehr ‚Energiemassen‘ an. Sport wäre hier wohl ein angemessener Ersatz zum Abbau derselben, wenn (!) nicht durch neuen Leistungs- und Zeitdruck erneut der Katastrophenmodus in Gang setzen wird.
Die von uns selber (meist unbewusst) langjährig intensiv antrainierten ‚hochdruckartigen‘ Lebensgewohnheiten akzeptiert die Psyche schließlich als  n o r m a l  und speichert sie ab. Ja, sie sucht sogar dieses hochgefahrene Niveau mit allen Mittel zu erhalten. Daher verlangt sie regelrecht nach Hektik, Stress, Dauer-Aktivismus. So kommt es zu dem Paradox: „Früher brachte der Lärm die Menschen aus der Ruhe. Heutzutage ist es die Stille.“ (unbekannt) Ergebnis: In unserem Inneren laufen wir ständig wie getrieben in einem „Hamsterrad“, um der Ruhe zu entkommen!
Die negativen Auswirkungen für unseren Körper kann die Psyche nicht erkennen: Schlafprobleme, Essstörungen, Beziehungsstörungen, äußere und innere Erschöpfung … bis hin zum „Burn out!“, weil unser Körper ausgepowert ist!  
Dr. Michael Winterhoff zeigt aber überzeugend die Möglichkeit auf, diesen Zustand durch klare Kontrapunkte zu stoppen und ins Positive zu verändern (vgl. ebd.). Wenn wir es vor allem schaffen, uns über einen längeren Zeitraum jeden Tag für maximal eine ¾ Stunde (länger schafft es eine aufgehetzte Psyche nicht) an einen ruhigen Ort zurückzuziehen (z.B. eine Kirche, ein Sofa …) und dort  n i c h t s  zu tun – weder innerlich noch äußerlich aktiv zu sein (nichts anhören, anschaue5RBHelikoptern, überlegen, planen, …), werden wir unser SELBST wieder zu uns,
in unser Inneres holen und sein ‚hastiges und begieriges 
Herumschwirren‘ stoppen.
Unsere Psyche wird zunächst rebellieren und uns Vorhaltungen machen: „Zeitverschwendung!“ „Langweilig!“ „Nicht auszuhalten!“ Uns wird eine innere Unruhe befallen, die wir aushalten müssen, um so allmählich das „Hamsterrad“ anhalten zu können.
Nach einiger Zeit werden wir eine Veränderung in unserem Inneren / unserer Psyche feststellen. Wir werden ruhiger. Wir werden Situationen und Mitmenschen in uns ruhend begegnen können, d.h. uns nicht von ihnen provozieren bzw. steuern lassen. Wir werden ihnen abgegrenzt, d.h. unabhängig, in einer inneren Freiheit gegenübertreten können und ihr Tun klar, eindeutig und wiederholt „spiegeln“ (= bewerten) können. Dies ist vor allem gegenüber Kindern von größter Wichtigkeit, da wir ihnen nur auf diese Weise (wieder) Orientierung und Halt schenken können, die sie zur Entwicklung ihrer psychischen Reife brauchen. Wir werden wieder intuitiv agieren und reagieren können, d.h. aus dem sogenannten „Bauchgefühl“ heraus, das in unserem Inneren, in unserer Mitte angelegt ist.

Seit gut 20 Jahren arbeitet Dr. Michael Winterhoff als Kinder- und Jugendpsychiater. Er beschäftigt sich dabei intensiv mit der Beziehung zwischen Erwachsenen (Eltern, Erzieher, Lehrer, Ausbilder) und Kindern/Jugendlichen. Mit den Jahren wurden ihm aus allen gesellschaftlichen Schichten vermehrt Kinder und Jugendliche mit emotionalen und sozialen Entwicklungsstörungen vorgestellt, d.h. mit erheblichen Defiziten an psychischen Funktionen bzw. psychischer Reife.
Den Grund für dieses auffällig steigende Maß an Defiziten bei Kindern und Jugendlichen sieht Dr. Winterhoff nicht in den Erwachsenen an sich, sondern im tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der vergangenen Jahrzehnte, welcher aufgrund seines hohen Tempos und seiner Unbeständigkeit letztlich eine Überforderung des Menschen darstellt. Hinzu kommt der massive Einfluss der Medien aller Art mit ihrer Flut an vorwiegend negativen und stark emotional aufbereiteten Nachrichten. Außerdem verursacht auch der drohende bzw. tatsächliche Verlust existenzieller Sicherheiten (Arbeitsplatz, Altersversorgung, finanzielles Auskommen, verlässliche Beziehungen, Werte, Orientierung etc.) im Erwachsenen Druck, Unruhe und Stress. Aus alldem folgt: In der Psyche des Erwachsenen läuft unbewusst ein Katastrophenmodus ab! (vgl. ebd. S. 196)
„Wer [aber] ständig wie vor oder in einer Katastrophe lebt, kann nicht glücklich sein.“ (ebd. S. 204) Aber nur „Glückliche Erwachsene sorgen für glückliche Kinder.“ (ebd. S. 204)  
Wie die Ruhe und somit das Glücklichsein eines Menschen sich im Positiven auf Kinder und Jugendliche überträgt, so übertragen sich auch seine Unruhe und Getriebenheit auf sie und führen letztlich zu den von Dr. Winterhoff ausführlich beschriebenen Beziehungsstörungen: Partnerschaftlichkeit, Projektion und Symbiose (s. seine ersten Bücher). Diese haben jene emotionalen und sozialen Entwicklungsstörungen zur Folge, die heute immer mehr Kindern/Jugendlichen ein Leben in Familie, Schule, Ausbildung und Beruf, ja als Teil der Gesellschaft so erschweren.
Mit einem erwachsenen Gegenüber aber, an dem ein junger Mensch im besten Sinne des Wortes ‚er-wachsen‘ kann (vgl. ebd. S. 10), an dem er durch häufige Wiederholung die für ein Leben in Gemeinschaft notwendigen psychischen Funktionen (hierzu Anmerkung 1) erwerben und ggf. nachreifen lassen kann, entfaltet er sich zu einer sozialen Persönlichkeit. Er wird ein Mensch,  „der sich als individuelle Person behauptet und Teil der Gesellschaft ist, ohne nur Rädchen im Getriebe zu sein.“ (M. Winterhoff in: „Persönlichkeiten statt Tyrannen“, S. 173) 

Mit seinen Publikationen und zahlreichen Interviews (auch im Internet) möchte Dr. Michael Winterhoff uns alle die sich brisant zuspitzende Situation in unserer Gesellschaft ins Bewusstsein rufen. Er will aber auch zum eigenständigen Weiterdenken und Problemlösen animieren. In diesem Zusammenhang sind auch seine Ausführungen zu notwendigen Veränderungen in Kindergärten, Grundschulen und in der Berufsausbildung äußerst interessant (vgl. in seinem zweiten/dritten Buch).
Insgesamt zeigt Dr. Winterhoff eine klare Perspektive auf, die jedem Pessimismus trotzt:

„Unsere Mitte, aus der die Kraft entspringt, das Leben zu meistern, und auch glückliche Kinder aufzuziehen, ist in uns; angesichts der scheinbaren alltäglichen Katastrophen entfernen wir uns immer mehr von ihr. (…) Positiv stimmen sollte uns, dass wir der Situation Herr werden können. Der Katastrophenmodus unserer Psyche entspricht nicht der realen Situation. Das zu erkennen ist die große Chance, um nicht länger im Hamsterrad zu rotieren und zu einer gelasseneren Lebenseinstellung zu kommen, sowohl anderen Menschen als vor allem Kindern gegenüber.“ („Lasst Kinder wieder Kinder sein“, S. 202/203) (hierzu Anmerkung 2)

 

„Eine Gesellschaft, die sich immer weiter von ihrer Mitte entfernt und in einem dauerhaft hochgedrehten Modus agiert, rotiert sich damit selbst ins Abseits. Diese Gesellschaft jedoch besteht aus Individuen, diese Gesellschaft sind wir alle. Bei dieser Erkenntnis müssen wir ansetzen.“ (ebd. S. 204)

Welchen konkreten Weg der einzelne Mensch geht und den ihm Anvertrauen gehen hilft, ist immer eine zutiefst individuelle und persönliche Entscheidung. Er kann ihn alleine gehen. Er kann sich von Menschen helfen lassen. Er kann aber auch die ihm stets ausgestreckte Hand Gottes ergreifen und sich von ihm, der die LIEBE und WEISHEIT ist, väterlich helfen lassen.
Auch Jesus ruft allen Menschen zu:

 

„Ich werde euch Ruhe verschaffen!“

(Mt 11, 28)

 

Aus unserem Glauben heraus wissen wir, dass wir in unserer Mitte, in unserem Herzen Jesus treffen können. Er schenkt uns auch folgende ermutigende folgende Worte:
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ „Ich habe die Welt überwunden.“ „Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“
Auf dem Boden unseres Glaubens dürfen wir – wider jedem äußeren zeitgeschichtlichen Anschein – fürwahr unverdrossen, voll Freude und Zuversicht in unsere persönliche und gesellschaftliche Zukunft schauen, das „Hamsterrad“ verlassen und bei Christus in unserem Herzen Ruhe finden.

Wir werden aber erst und nur bei jemandem unsere Zuflucht nehmen – ihm vertrauen, wenn wir ihn auch kennen. Deshalb gilt es, Gott, der sich uns durch Jesus selber als VATER offenbart hat, kennenzulernen und unsere Beziehung zu ihm immer weiter zu vertiefen.
So gelangen wir an eine unerschöpfliche Quelle von Kraft und Licht, die uns auch gefährliche Klippen zu umschiffen hilft.

Widersetzen wir uns daher  mit Humor, einer Eigenschaft Gottes und seiner Heiligen, all den vielen uns umgebenden Zwängen: Die permanente Erreichbarkeit, das Übermaß an Auswahlangeboten (drei ist das Höchstmaß, das unserer Psyche tatsächlich zusagt), die ständige Entscheidungspflicht! ‚Entschleunigen‘ wir unseren Alltag! (vgl. M. Winterhoff)
Bleiben wird zufrieden und suchen wir nicht fortwährend das Schnellere, Höhere, Weitere, wohl wissend: Uns ist „das Größte, Schönste, Kostbarste und Beste einfach als Geschenk gegeben. Was das ist? Dein eignes Leben“ (Helmut Zöpfl). Und dieses wird durch die lebendige Gemeinschaft mit Gott im eigenen Herzen – und für Katholiken noch zusätzlich durch ein Leben aus den Sakramenten der Kirche – schon jetzt ins Übernatürliche erhoben.


FAZIT: 
„Wer ständig wie vor oder in einer Katastrophe lebt, kann nicht glücklich sein. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Katastrophenmodus in unsrer Psyche so schnell wie möglich abgeschaltet wird.“ („Lasst Kinder wieder Kinder sein“, S. 205)
Welche Mittel und Hilfen der Einzelne in Anspruch nimmt, um seine immer Glücks-hungrige Psyche zu befrieden, ist seine ganz persönliche Entscheidung, die es aber auch immer zu verantworten hat gilt.
Das Ziel aber muss immer dasselbe sein:
Ein Mensch, der in sich ruht und dieses Ruhen auch nach außen fürsorglich abgrenzt (vgl. M. Winterhoff).
So ruht er in seiner Mitte, im zentralen Ort, in seinem Herzen und somit an der Wurzel seiner Lebens-Kraft – in der LIEBE, die nach Don Bosco immer das Glück des anderen sucht.
Daher gilt:

Leben aus der Mitte heraus

– Ruhe und Intuition statt Hamsterrad –

damit du glücklich bist!
(Michaela Dütsch)

 


Jeder Rundbrief steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Homepage www.schmetterling-statt-raupe.de, die im Wesentlichen auf den Darlegungen von Dr. Michael Winterhoff basiert. Alle blau gefärbten Textteile sind Links zu derselben.



Anmerkung 1: Die psychischen Funktionen nach M. Winterhoff:
Frustrationstoleranz, Fremdbestimmung, Ausblenden von Bedürfnissen, Konfliktfähigkeit, Interaktionsfähigkeit, Empathie, Respekt, Pünktlichkeit, Höflichkeit, Ordnungssinn, Wahrnehmungsfähigkeit, Lernbereitschaft, Leistungsbereitschaft, Anstrengungsbereitschaft, Arbeitshaltung, Pflichtbewusstsein, Gewissensinstanz, Bewusstsein für „Mein“ – „Dein“, … 


Anmerkung 2: Den von Dr. Winterhoff häufig verwendeten Begriffen „Mitte“ und „Selbst“ entsprechen im Religiösen die Begriffe „Herz“ und „Ich“. Das „Ich“ jedes Menschen ist einmalig 5RB
und nicht austauschbar! Es kennzeichnet jeden einzelnen Menschen,
seine Handlungen und Entscheidungen, für die er stets Verantwortung
tragen muss. ‚Wohnsitz‘ des „Ich“ ist das „innere Herz“ des Menschen.
Es ist im biblischen Sinn der Wesensgrund oder das Innere, worin sich
die Person für oder gegen Gott [für das Gute oder das Schlechte]
entscheidet (vgl. Katechismus der Kath. Kirche 368). (siehe Rb 4)
Das Herz ist also letztlich der Ausgangspunkt, von dem die Anweisungen zum Agieren ausgehen, an dem entschieden wird, womit sich das „Ich“ beschäftigt, welche positiven oder negativen „Gewohnheiten“ es in seiner Psyche anlegt bzw. umtrainiert.


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